Wie überleben Versicherungen die Digitalisierung?

Wie überleben Versicherungen die Digitalisierung?

Kennen Sie noch Kodak? Während meiner Kindheit und Jugend war Kodak nicht nur in der Werbung omnipräsent, sondern auch tatsächlich mit großem Abstand Marktführer in der Foto-Branche. 90% der verkauften Filme und 85% der verkauften Kameras kamen 1976 in den USA von Kodak. Auch in Europa war Kodak Marktführer.

Die Produkte von Kodak hatten zwar ihren Preis, der aber auch qualitativ gerechtfertigt war. Kodaks Geschichte begann 1892. Bereits 1894 expandierte Kodak nach Deutschland. Kodak stellte früh die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt:

„You press the button – we do the rest“

hieß es schon um 1900. Der Aufstieg von Kodak schien unaufhörlich. 2012 dann die Insolvenz.

 

Wie kann ein Weltmarktführer in die Insolvenz gehen?

Kodak war immer sehr innovativ und entwickelte beispielsweise 1935 mit Kodachrome den ersten Farb-Diafilm. Dieser Film war qualitativ so gut, dass es erst in den Neunzigerjahren Wettbewerbern gelang, eine ähnliche Qualität herzustellen. 2009 wurde die Produktion von Kodachrome eingestellt.

Wie konnte der Weltmarktführer der Neunzigerjahre rund 15 Jahre später in die Insolvenz gehen? Was war passiert? Kodak hatte die Digitalisierung komplett falsch eingeschätzt. Kodak selbst hatte 1975 die Digitalkamera erfunden, aber – geblendet vom Erfolg – nicht das Potenzial dieser neuen Technologie erkannt. Als die Digitalfotografie schon ein Massenphänomen war, hatten Kodak-Mitarbeiter wieder eine brillante Idee: Jahre bevor Mark Zuckerberg überhaupt an Facebook dachte, kaufte Kodak im Jahr 2001 die Online-Fotosharing-Plattform Ofoto, die über genau die Funktionen verfügte, mit denen Instagram 2010 an den Markt ging. Kodak hatte 2001 die Basis für ein Social Network im Haus, aber wieder mal das Potenzial nicht erkannt. Noch 2008 diskutierte das Kodak-Management intern über Ofoto. Zu der Zeit gab es schon das iPhone und nahezu jedes Handy war mit einer Kamera ausgestattet.

 

 

Kodak erkannte noch immer nicht das Potenzial von Ofoto (mittlerweile umgebranded in “Kodak Moments”): Man fand die Idee „süß“ (damalige Original-Aussage eines Kodak-Topmanagers) und versuchte halbherzig die nun „Kodak Moments“ genannte Plattform dafür zu nutzen, das Geschäft mit ausgedruckten Fotos anzukurbeln. Kodak Moments existiert auch noch 2017 – defizitär mit sehr geringem Traffic. Instagram wurde 2012 für eine Milliarde Dollar an Facebook verkauft und verfügt 2017 über 700 Millionen Nutzer.

 

Fassen wir zusammen:

Kodak erfand die Digitalkamera, investierte Milliarden in Technologie und hatte sogar schon 2001 „social sharing“ entwickelt. Doch selbst als 2008 fast jedes Handy schon über eine Kamerafunktion verfügte, wollte Kodak noch das das Foto-Print-Geschäft erweitern und hatte nicht verstanden, dass neue Geschäftsmodelle auf dem Foto-Sharing beruhen.

 

 

Insurance Knoche Consulting

 

Wie kann man so blind sein?

Das ist eine berechtigte Frage. Leider sind auch viele Versicherungen genauso blind wie Kodak und folgen den historischen Pfaden. Der „Kodak Moment“ steht vielen Versicherungen noch bevor. Manche werden in zwei Jahren vom Markt verschwinden. Andere vielleicht in fünf. Fest steht schon heute, dass der Versicherungsbranche in sehr naher Zukunft massive Veränderungen bevorstehen. Viele aktuelle Player werden dann vom Markt verschwunden sein. Und es wird zu Insolvenzen kommen.

 

Auch Versicherungen sind blind und beratungsresistent

Noch ist es verhältnismäßig ruhig auf den Sonnendecks der Vorstandsetagen. Einzelne Versicherungsvorstände erkennen den herannahenden Tsunami und machen schon mal eine Portfolio-Bereinigung, in dem sie zum Beispiel das Kapitallebensversicherungsgeschäft ihrer Gesellschaft verkaufen. Andere sind nicht so smart.

 

 

Die Kapitallebensversicherung ist tot – aber Versicherungen machen einfach weiter wie bisher

Weiterhin verkaufen Versicherungen den Kunden „Sicherheit“ mit der klassischen Lebens- oder Rentenversicherung. Sie haben es den Kunden ja auch Jahrzehnte mit aller Marketing- und Vertriebspower suggeriert, dass er für das Alter vorsorgen soll. Nur leider ist die klassische Lebensversicherung dazu nicht mehr das Mittel der Wahl. Und das werden die Kunden früher oder später erkennen, selbst wenn Versicherungen ihnen heute noch das Gegenteil suggerieren. Warum soll sich ein Kunde 30 Jahre an eine Versicherung binden, wenn er nicht weiß, ob er überhaupt eine positive Rendite mit seinem dortigen Investment erzielt? Lt. Assekurata war 2017 bei einigen Lebensversicherungen die Beitragsrendite sogar negativ. Dies wird auch der Kunde über kurz oder lang „merken“.

Und welchen Kundenvorteil haben flexible Fonds-Policen oder Policen, die sich an die Lebenssituationen der Kunden anpassen, wenn durch diese Flexibilität gar die geringe Garantieverzinsung von 0,x% komplett entfällt?

Richtig: Keine.

Wenn der Kunde zum Beispiel direkt in ETFs investiert oder sich über einen Robo-Advisor ein Produkt nach seinen Risikobedürfnissen zusammenstellt, dann hat er die bessere Lösung zu geringeren Kosten. Warum sollte er eine schlechtere Lösung für mehr Geld bei Ihnen einkaufen?

 

 

Und auch Sie als Versicherungsunternehmen haben keinen Spaß daran: Die Abschlussprovisionen sind gedeckelt, die laufenden Kosten müssen Sie weiter nach unten drücken, damit Ihre Produkte überhaupt noch für die Kunden attraktiv bleiben. Die Policenverwaltung wird aufgrund der steigenden Anforderungen des Gesetzgebers und der Wünsche der Kunden immer komplexer. Wie wollen Sie das mit Ihren maroden IT-Systemen hinbekommen? Nochmal investieren und auf ein neues IT-System wechseln? Lohnt nicht im Lebensversicherungs-Umfeld. Sie operieren eh schon „am offenen Herzen“. Seien Sie mutig. Verkaufen Sie Ihren Lebensversicherungsbestand – solange es noch Käufer dafür gibt.

Potenzielle Neukunden wird es nicht abschrecken, wenn Sie keine Kapitallebensversicherungen mehr im Portfolio haben. Aber was ist mit den Bestandskunden, die mehrere Verträge aus verschiedenen Sparten bei Ihnen abgeschlossen haben? Wenn Sie den Verkauf Ihrer LV-Sparte transparent gegenüber Ihren Bestandskunden kommunizieren, dann werden diese erkennen, dass sich die verbesserten Kostenstrukturen nach dem Verkauf des LV-Geschäfts positiv auf die verbliebenen Versicherungssparten auswirken.

 

 

 

Wer braucht noch eine Kfz-Versicherung in Zeiten selbstfahrender Autos?

So wie Kodak die fortschreitende Entwicklung der Digitalkameras ignoriert hat, ignorieren Versicherungen die technologische Entwicklung im Bereich selbstfahrender Autos. Während bereits erste selbstfahrende Fahrzeuge auf deutschen Straßen im Testbetrieb unterwegs sind, machen sich Versicherungen Gedanken über die Weiterentwicklung der seit jeher margenschwachen Kfz-Versicherung. Wenn das selbstfahrende Fahrzeug erst mal die Regel sein wird – und dies wird früher der Fall sein als die meisten von Ihnen denken – dann wird die Kfz-Versicherung nach für nach obsolet. Selbstfahrende Autos verursachen weniger Unfälle und werden keine Kfz-Versicherung benötigen, da die selbstfahrenden Autos nicht einzelnen Kunden sondern Plattformbetreibern gehören werden. Diese werden das Risiko über andere Absicherungsmechanismen als eine Kfz-Versicherung abdecken. Im Klartext: Die Kfz-Versicherung stirbt aus.

Was aber machen Versicherungen und auch Insurtechs? Gefangen in einer „Filterblase“ kümmert man sich gemeinsam um die Weiterentwicklung der Kfz-Versicherung. Stolz verkünden IT-Vorstände von Versicherungen, dass sie mit zweistelligen Millionen-Investitionen die Infrastruktur für Telematik-Tarife aufgebaut haben. Aber lohnt sich das, wenn trotz aller Marketingmaßnahmen nur wenige Kunden in diese Tarife wechseln? Rechnen Sie diese Tarife überhaupt bei den anfallenden Mehrkosten für die aufwändige Infrastruktur? Und haben Sie Ihre Kunden mal gefragt, wer von diesen bereit ist, sich „völlig nackt“ zu machen und in diese Tarife zu wechseln?

 

 

Eine weitere Spielart von Versicherungsunternehmen und Insurtechs ist aktuell, dass man die Kfz-Versicherung in Form von Apps „neu erfindet“. Die „Innovation“ besteht dann zum Beispiel darin, dass man die Kfz-Versicherung „mobile” abschließen kann. Um kostengünstiger als konventionelle Kfz-Versicher zu sein, reduziert man die Leistungen. Die nicht jeden Tag benötigten Leistungen kann der Kunde dann im Bedarfsfall dazu buchen.

Liebe Versicherungen, glauben Sie wirklich dass der Kunde sich während seines Dänemark-Urlaubs Gedanken darüber macht, ob er das Fahrzeug auf offener Straße parken darf oder ob der beste Freund als „nicht eingetragener Fahrer“ mal kurz mit dem Auto zum Einkauf in den Nachbarort fahren darf? Auch hier befinden Sie sich in einer „Filterblase“. Theoretisch kann der Kunde den Drittfahrer über Ihre App natürlich unkompliziert dazu buchen. Doch wer macht das, wenn die Gedanken gerade beim Strand-Lagerfeuer mit Freunden sind?

Das „dicke Ende“ kommt dann im Schadenfall, wenn Sie den Kunden darauf hinweisen, dass er ja die App für das Zubuchen des Drittfahrers hätte nutzen können, Sie ihm aber „leider” jetzt eine “saftige Strafe“ berechnen müssen, da er die Bedingungen seines Versicherungstarifs nicht eingehalten hat. Kunden suchen einfache Lösungen, die ihr „Problem“ absichern. Den Wettbewerb um den Kunden werden Sie nur mit einfachen Lösungen gewinnen. Komplexe Lösungen wirken sich spätestens im Schadenfall immer negativ auf die Kundenzufriedenheit aus.

 

 

„Inverse Mentoring“ als Chance – Kommen Sie raus aus Ihrer Filterblase

Viele Versicherungen wissen heute gar nicht mehr, was ihre Kunden wirklich wollen. Versicherungen geben zwar Millionen für Kundenbefragungen aus. Aber seien wir mal ehrlich: Am Ende interpretieren Versicherungen die Kundenbefragung doch genau so, wie sie sich das Ergebnis vorgestellt haben. Oder Marktforschungsunternehmen „biegen” das genau so hin, weil sie ja auch nächstes Jahr wieder den Auftrag für Ihre Kundenbefragung bekommen wollen. Was also tun?

Verlassen Sie mal Ihre Filterblase und sprechen Sie mit „echten Kunden“. Fragen Sie mal Ihre Fußball- oder Yoga-Freunde, wie die über Versicherungen denken. Oder auch Ihre dreijährige Tochter. Oder suchen Sie sich einen „inverse mentor“, der vielleicht auch gar nicht aus Ihrer Branche kommt, Sie aber auf neue Ideen bringt. Oder besuchen Sie mal eine Kunstausstellung, um andere Inspirationen zu bekommen.

Machen Sie aber bitte keine „Zoo-Besuche“ bei Berliner Insurtechs. Auch die meisten von denen leben in der Filterblase.

 

 

 

Wie überlebe ich als Versicherung die Digitalisierung?

Sie haben richtig gelesen: Es geht ums Überleben. Selbst wenn Sie heute Marktführer sind.

Fest steht auch: Die Digitalisierung geht immer weiter. Es gibt keinen Endpunkt. Sie müssen sich auf kontinuierliche radikale Veränderungen einstellen.

 

Die zwei Dimensionen der digitalen Transformation

Bei der digitalen Transformation gibt es genau zwei Dimensionen: Es geht es um das „Wie“ und um das „Was“.

Die meisten Versicherungen befassen sich aktuell nur mit der ersten Dimension – mit dem „Wie“. Dabei geht es darum, wie Sie ihr bestehendes Geschäft „fit“ für die Zukunft machen. Dies sind Fragestellungen nach Produktinnovationen, Steigerung der Prozesseffizienz oder neue Ansätze im Schadenmanagement. Alles richtig. Dies ist ein guter Start. Dies wird aber bei keiner Versicherung ausreichen, um langfristig am Markt bestehen zu können.

Dazu gehört auch die Frage nach dem „strategischen Wie“:

Wie will ich mich als Versicherung zukünftig strategisch aufstellen? Zum Beispiel als Produkt-Lieferant? Als Nachfrage-Aggregator? Oder als Plattform-Anbieter?

Die zweite Dimension der digitalen Transformation ist das zukunftsgerichtete „Was?“:

Wie definiere ich „Versicherung“ in der Zukunft? Ist „Versicherung“ langfristig überhaupt noch ein ertragreiches Geschäftsmodell oder sollten wir als Unternehmen ganz andere Geschäfte forcieren? Denken Sie an Schumpeters Modell der „kreativen Zerstörung“, nach dem Zerstörung notwendig ist, damit überhaupt erst Neues entstehen kann.

 

 

Die Kunst ist, eine Balance hinzubekommen zwischen den beiden Dimensionen „Wie“ und „Was“ – also einerseits das aktuelle Geschäft „fitter“ machen und über das „strategische Wie“ nachdenken, sich andererseits aber auch um das zukunftsgerichtete „Was“ kümmern. Denken Sie zum Beispiel an Amazon, die als Buchversender begonnen haben, das Versandgeschäft immer weiter perfektionieren, heutzutage aber auch Marktführer im Bereich Cloud Services sind.

 

Seien auch Sie mutig:

Probieren Sie bei beiden Dimensionen verschiedene Dinge aus. Finden Sie heraus, was Ihre Kunden wirklich wollen und was langfristig funktioniert. Setzen Sie genau das um und skalieren Sie. Viel Erfolg.

 

Mehr zum Thema:

Kapitulieren Versicherungen vor der Digitalisierung?

Der Traum von der digitalen Krankenversicherung

Kann man mit Banking noch Geld verdienen?

Transformieren Sie schon? Oder spielen auch Sie Innovationstheater?

12 Do’s and Don’ts of a Successful Digital Transformation

 

Leave a Reply

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.