
Vier Jobinterviews sind genug
Wie Sie Führungspositionen effizient und nachhaltig besetzen
Der neue Sales Director kam mit Vorschusslorbeeren. Beim direkten Wettbewerber hat er mit seinem Team die Verkaufszahlen pro Jahr um mindestens 20 Prozent gesteigert. Seit einem Jahr ist er nun bei uns. Unsere Verkaufszahlen haben sich seit dem sogar verschlechtert. Dabei hatten doch alle acht Interviewer ein sehr gutes Gefühl bei diesem Kandidaten, der von seinen letzten vier Arbeitgebern ausnahmslos beste Referenzen vorweisen konnte. Auch der Persönlichkeitstest hatte gezeigt, dass der Kandidat nahezu optimal zu unserer Firma passt. Wie konnten wir uns so täuschen? Warum performt der neue Sales Director, der insgesamt über eine zwanzigjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland verfügt, bei uns nicht?
Die Situation beschreibt einen Klassiker der Personalauswahl. Trotz sehr umfangreicher Bemühungen ist der ausgewählte Kandidat nicht so erfolgreich wie erwartet. Was hat das Unternehmen falsch gemacht? Wie kann ein Unternehmen seine Prozesse bei der Auswahl von Führungskräften verbessern und Fehlbesetzungen möglichst vermeiden?
Die Ausgangssituation
Das Unternehmen in unserem Beispiel hat einen erfolgreichen Sales Director von einem direkten Wettbewerber abgeworben. Warum war er dort erfolgreich und ist es nun nicht mehr? Dies kann verschiedenste Gründe haben, die nicht unbedingt mit der Person des Sales Directors zusammenhängen müssen: Die Marktsituation kann sich grundlegend geändert haben. Der Sales Director hatte in der Vergangenheit mehrfach Glück beim Abschluss großer Deals. Oder er hatte ein gutes Team, welches zusammen mit ihm erfolgreich war. Wir erkennen:
Erfolge in der Vergangenheit sind kein Garant für Erfolge in der Zukunft
Dies ist in allen Lebensbereichen so. Hier ein plastisches Beispiel aus dem Fußballsport: Nehmen wir an, ein Top-Stürmer von Bayern München würde zu einem Verein in der zweiten Liga wechseln. Es ist kein Selbstläufer, dass er dort wieder zum Top Scorer wird. Bei Bayern München hatte er ein Top-Team welches ihm die Bälle „zugetragen“ und ihm das Tore schießen erleichtert hat.
Bei einem Zweitligaverein sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so viele Weltklassespieler als Mitspieler vorhanden, die ihm die Bälle „servieren“. Unser ehemaliger Top Scorer muss sich nun seine Bälle selbst holen und schießt weniger Tore. Wir erkennen:
Herausragende Erfolge sind in der Regel Teamerfolge
Dies gilt uneingeschränkt auch in der Unternehmenswelt. So gibt es verschiedene Beispiele aus dem Bankensektor, wo die Performance eines Top-Analysten nach dem Wechsel zu einem direkten Wettbewerber stark nachgelassen hat. Woran liegt das? Nach dem Wechsel zum Wettbewerber hatte er nicht mehr das Team, welches ihn zuvor unterstützt hat. Er muss sich erst ein neues Team aufbauen. Die Performance leidet. Der Finanzdienstleister in unserem Beispiel hat seine Lektion gelernt. Beim nächsten Mal hat er ein komplettes hoch performendes Analystenteam von einem Wettbewerber abgeworben.
Kommen wir zum nächsten Punkt: Berufserfahrung.
In Stellenanzeigen wird oft langjährige Berufserfahrung, meistens sogar innerhalb einer bestimmten Branche gefordert. Garantiert dies den Erfolg in der Zukunft? Die Antwort können Sie sich denken:
Langjährige Berufs- oder Branchenerfahrung ist kein Indikator für zukünftigen Erfolg
Eine Meta-Analyse von 81 Studien hat gezeigt, dass es keine signifikante Korrelation zwischen bisheriger Berufserfahrung und der Performance in einem neuen Job gibt. Lesen Sie selbst im Harvard Business Review nach.
Was bedeutet das für unsere Führungskräfteauswahl? Ganz einfach:
Schenken Sie dem Lebenslauf eines Kandidaten nicht zu viel Beachtung
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ein Lebenslauf ist die Eintrittskarte für einen neuen Job. Aber auch nicht mehr.
Ein Lebenslauf ist vergangenheitsorientiert und zeigt die bisherigen beruflichen Stationen eines Kandidaten. Er zeigt auch, wie ein Kandidat sich selbst sieht und sich darstellt – also sein Selbstmarketing und seine Präsentationsfähigkeit. Das war es aber auch schon.
Nutzen Sie den Lebenslauf des Kandidaten als „Eisbrecher“ zur Gesprächseröffnung bei einem Erstinterview mit ihm. Nachdem das Eis gebrochen ist, kommen Sie bitte schnell zu relevanteren Punkten (mehr dazu später).
Referenzen sind in der Regel unnötig
Haben Sie schon mal ein schlechtes Arbeitszeugnis von Führungskräften gesehen? Ich nicht. Wenn alle Arbeitszeugnisse von Führungskräften „gut“ oder „sehr gut“ sind, welchen Wert haben diese Arbeitszeugnisse dann für die Personalauswahl? Ein sehr erfahrener Personaler sagte mir mal, dass er damit abgleicht, ob die Tätigkeitsbeschreibung zwischen Lebenslauf und Arbeitszeugnis übereinstimmt und er damit ein Gefühl dafür bekommt, wie genau es der Kandidat mit der Wahrheit nimmt.
Zuvor haben wir gelernt, dass Berufserfahrung kein Garant für zukünftigen Erfolg ist. Warum machen Sie sich also die Arbeit und lesen Arbeitszeugnisse?
Gleiches gilt für Referenztelefonate. Auch hier werden Sie nichts Schlechtes über Kandidaten hören und bekommen keinerlei Input zur zukünftigen Performance eines Kandidaten. Sparen Sie sich daher am besten auch die Referenztelefonate.
Die beiden vorgenannten Punkte sind wissenschaftlich belegt. Mehrere Meta-Analysen zeigen mit 0,2 bis 0,26 eine sehr schwache Korrelation zwischen Referenzen und zukünftiger Performance.
Unstrukturierte Vorstellungsgespräche sind Zeitverschwendung
Gleiches gilt auch für unstrukturierte Interviews. Diese Form der Vorstellungsgespräche sind heute bei den meisten Unternehmen – unabhängig von der Unternehmensgröße – anzutreffen. Die Korrelation ist hier ebenfalls sehr schwach und liegt in den Meta-Analysen um 0,3.
Bei unstrukturierten Vorstellungsgesprächen unterliegen wir dem „Confirmation Bias“, das heißt, wir neigen dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie unseren eigenen Erwartungen entsprechen. Zum Beispiel: „Aha, Sie haben auch in München studiert. Toll.“ Oder: „Herr Müller hat 8 Jahre bei Google gearbeitet. Der muss ja gut sein.“ Wie bereits zuvor ausgeführt, sind erlebte Erfahrungen der Vergangenheit kein Garant für zukünftige Erfolge.
Wir neigen auch dazu, Kandidaten einzustellen, die sich unserer Meinung zu bestimmten Themen anschließen und die uns im Vorstellungsgespräch „umgehauen“ haben. Aber: Interview Performance ist etwas anderes als Job Performance. Wollen Sie einen Schauspieler einstellen? Oder jemanden der gut für Ihr Unternehmen performt? Lesen Sie dazu gern: “What You See May Not Be What You Get: Relationships Among Self-Presentation Tactics and Ratings of Interview and Job Performance”.
Yale-Professor Jason Dana geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt:
„Alle Job-Interviews sind komplett nutzlos“
Quelle: The New York Times
Ganz so weit würde ich nicht gehen. Meiner Meinung machen strukturierte Interviews durchaus Sinn. Die Korrelation liegt hier in der Meta-Analyse bei ca. 0,5 und damit fast so hoch wie die Korrelation bei Arbeitsproben (mit 0,54 die höchste Korrelation).
Internationale Konzerne setzen strukturierte Interview häufig ein, indem sie Kandidaten kritische Situationen aus deren beruflicher Vergangenheit reflektieren lassen. Dies sind dann Fragen wie „Erzählen Sie mir von einer kritischen Vertriebssituation und wie Sie den Kunden dennoch gewinnen konnten“ oder „Erzählen Sie, wie Sie einem befreundeten Kollegen erklärt haben, dass Sie ihm kündigen müssen.“
Strukturierte Fragen in dieser Form sind nicht sehr effektiv. Zum einen sind noch nicht alle Kandidaten routiniert genug mit sämtlichen kritischen Situationen (z. B. Überbringung von Kündigungen), zum anderen spielen Fragen dieser Art „Geschichtenerzählern“ in die Karten. Wen wollen Sie einstellen? Den besten Geschichtenerzähler oder den besten Kandidaten?
Sie werden jetzt vielleicht einwenden, dass Storytelling und Charisma extrem wichtig für eine Führungskraft sind. Weit gefehlt, sagt die Wissenschaft:
„Charismatische CEOs sind kein Indikator für den Unternehmenserfolg; aber erfolgreiche CEOs werden als charismatischer wahrgenommen.“
Quelle: Does Ceo Charisma Matter? An Empirical Analysis Of The Relationships Among Organizational Performance, Environmental Uncertainty, And Top Management Team Perceptions Of Ceo Charisma
Fassen wir noch einmal zusammen: Sämtliche Fragen nach den gemachten beruflichen Erfahrungen eines Kandidaten sind nicht zielführend. Diese vergangenheitsbasierten Fragen eignen sich nicht, um die zukünftige Performance des Kandidaten in Ihrem Unternehmen einzuschätzen. Diese Art der Fragen haben nichts mit Ihrer Unternehmenssituation und der zukünftigen Rolle des Kandidaten in Ihrem Unternehmen zu tun.
Was also tun?
Strukturierte, situative Fragen zum Unternehmenskontext als Entscheidungskriterium
Überlegen Sie sich strukturierte, situative Fragen zu Ihrem Unternehmenskontext, die Sie allen Kandidaten für eine Vakanz in gleicher Form stellen.
Fragen könnten zum Beispiel so beginnen:
„Stellen Sie sich vor, in Ihrer Rolle als unser Vertriebsleiter passiert Ihnen folgendes…“
Durch diese Art der Fragestellung und Fragen zu verschiedenen Bereichen und Situationen aus Ihrem Unternehmenskontext können Sie sich einen guten Eindruck über fachliche, persönliche und Leadership-Skills der Kandidaten verschaffen und auch deren Argumentationsfähigkeit und Diplomatie testen (z. B. mit der Frage „Wie würden Sie unseren Interviewprozess verbessern?“). Für eine erste Vertiefung in das Thema empfehle ich ein Paper der University of Arizona: “Situational Judgement Tests: Constructs Assessed and a Meta-Analysis of Their Criterion-Related Validities.”
Wenn Sie sich situative Fragen mit relevantem Content aus Ihrem Unternehmensalltag sehr sorgfältig überlegen und allen Kandidaten die gleichen strukturieren Fragen stellen, dann haben Sie eine valide Entscheidungsbasis für Ihren Hiring-Prozess.
Dies können Sie noch ergänzen, indem Sie Peer-Interviews (natürlich auch in strukturierter Form mit entsprechenden situativen Fragen) mit Ihren Kandidaten führen, so dass sich weitere Kollegen und HR in strukturierter Form einen Eindruck vom Kandidaten machen können.
Wie viele Interviews sollten Sie maximal mit einem Kandidaten führen, bevor Sie ihn einstellen?
Maximal vier strukturierte Interviews sind ausreichend für jede Personalentscheidung
In der aktuellen Situation gehen Unternehmen dazu über, Personalentscheidungen mehr und mehr zu demokratisieren.
Erstens nimmt die Zahl der Peer-Interviews zu. Es gibt Unternehmen die mehr als 10 Interviews pro Kandidat bis zu einer Entscheidung benötigen. Dies frustriert nicht nur Kandidaten (je nach Position werden eine gewisse Anzahl von Kandidaten den Bewerbungsprozess genervt abbrechen), sondern ist auch eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Nach einer Studie von Google waren vier Interviews genug, um mit 86-prozentiger Wahrscheinlichkeit den richtigen Kandidaten einzustellen (andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen). Dieser Wert stieg auch bei zehn Interviews nicht signifikant an. Google hat daher festgelegt, dass deren Personalentscheidungen nach maximal vier Interviews mit einem Kandidaten gefällt werden.
Gleiches empfehle ich Ihnen auch. Gestalten Sie Ihre Interview-Prozesse so, dass Sie nach maximal vier strukturierten Interviews mit einem Kandidaten entscheidungsfähig sind. Dies könnten zum Beispiel nebem dem Interview mit dem zukünftigen Vorgesetzten, ein Interview mit HR sowie zwei Peer-Interviews sein. Zusätzliche Interviews werden werden Ihre Entscheidungsgrundlage nicht verbessern.
Zweitens nimmt auch die Anzahl der Personen zu, die über eine einzelne Einstellung (mit-)entscheiden. Dies führt dann teilweise zu absurden Regelungen, dass nur Kandidaten eingestellt werden dürfen, die alle (oder mindestens 75 Prozent) der Interviewer für gut befinden. Mit derartigen Konsensentscheidungen limitieren Sie sich und Sie werden nie den besten Kandidaten, sondern immer nur Kompromisskandidaten einstellen. Die goldene Regel lautet daher:
Der zukünftige Vorgesetzte entscheidet allein darüber, wen er einstellt
Selbstverständlich nutzt der zukünftige Vorgesetzte alle zur Verfügung stehenden Daten (z. B. aus den strukturierten Interviews) und berät sich eingehend mit seinen Kollegen und HR. Die finale Entscheidung für eine Einstellung übernimmt er jedoch selbst – und zwar allein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wie gehen Sie Ihre nächsten Hiring-Prozesse an?
Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.
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